„Gleichzeitiges Versterben“ im Berliner Testament
Berliner Testamente sind beliebt. 90 Prozent der deutschen Ehegatten, die ein Testament errichten, wählen das Berliner Testament. Dort regelt man den Tod des zuerst versterbenden Ehegatten und den Tod des überlebenden Ehegatten. Manche wollen auch das „gleichzeitige Versterben“, z.B. bei einem Verkehrsunfall oder Flugzeugabsturz regeln. Gerade wenn der nächste Urlaub bevorsteht, ergänzen viele Eheleute ihr Testament um eine Klausel für den Fall dass sie „gleichzeitig“ oder „gemeinsam“ sterben.
Dabei wird eines nicht bedacht. In aller Regel sterben Menschen nicht gleichzeitig. Der eine stirbt am Unfallort, der andere eine Stunde oder einen Tag später im Krankenhaus auf der Intensivstation.
Unfallklausel
Die Gerichte müssen in solche fällen diese Unfallklauseln auslegen. Es gibt sie in vielfältiger Form:
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„Sollten wir gemeinsam sterben …“
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„Falls wir gleichzeitig ableben …“
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„Wenn wir beide bei einem Unfall umkommen …“
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„Sollten wir beide bei einem Unglück sterben …“
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„Falls uns ein Unglück zustößt …“
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„Wenn uns ein Unglück zustoßen sollte …“
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usw. usw. usw.
Was gilt nun aber, wenn der eine den anderen um eine Sekunde, eine Stunde, mehrere Stunden, einen Tag, eine Woche oder gar einen Monat und noch länger überlebt, obwohl beide aufgrund des gleichen Unfalls starben. Diese Auslegungsfrage beschäftigt die Gerichte.
Erblasserwille zählt
Zuallererst ist immer zu fragen, was die Erblasser wollten. Was haben sie mit ihrer Formulierung gemeint, was wollten sie mit der Unfallklausel sagen. Das ist aber oft nicht feststellbar, z.B. weil die Eheleute mit ihren Kindern und auch sonst mit niemandem über ihr Berliner Testament gesprochen haben. Dann greifen die gesetzlichen Auslegungsregeln.
Das Gesetz
Für das Berliner Testament hält unser Bürgerliches Gesetzbuch in § 2269 eine Auslegungsregel bereit:
§ 2269 BGB Gegenseitige Einsetzung
(1) Haben die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament, durch das sie sich gegenseitig als Erben einsetzen, bestimmt, dass nach dem Tode des Überlebenden der beiderseitige Nachlass an einen Dritten fallen soll, so ist im Zweifel anzunehmen, dass der Dritte für den gesamten Nachlass als Erbe des zuletzt versterbenden Ehegatten eingesetzt ist.
§ 2269 trifft bei einem Berliner Testament zu. Es ist der Tod des erstversterbenden geregelt und der Tod des überlebenden Ehegatten. Er gilt nach seinem Wortlaut, wenn die Ehegatten eben gerade nicht gleichzeitig sterben. Wie gesagt, ist das in aller Regel der Fall. Wenn allerdings beide aufgrund desselben Unfalls sterben und nicht festgestellt werden kann, wer zuerst gestorben ist, gilt eine Regel aus dem Verschollenheitsgesetz. Dort besagt § 11, dass der gleichzeitge Tod vermutet wird, wenn der jeweilige Todeszeitpunkt der Eheleute nicht festgestellt werden kann.
Die Gerichte
Während die Gerichte früher bei der Formulierung „gleichzeitges Versterben“ wirklich ein Versterben im selben Moment oder jedenfalls einen Tod nach § 11 Verschollenheitsgesetz forderten, stellen sie heute nicht mehr auf den Wortlaut ab. Wird „gleichzeitges Versterben“ im Testament verfügt, dann gehen die Richter heute davon aus, dass die Eheleute auch den Fall regeln wollten, dass sie kurz hintereinander aufgrund desselben Unfalls sterben. Sogar wenn das Ableben hintereinander erfolgt, sehen die Gerichte dies von der Formulierung „gleichzeitiges Versterben“ als umfasst an.
Fall
Der Bundesgerichtshof entschied 2004 folgenden Fall:
Die Eheleute waren in zweiter Ehe verheiratet. Der Ehemann hatte zwei Kinder aus erster Ehe, nämlich Sohn und Tochter. Die Ehefrau hatte keine Kinder. Der Ehemann starb vor der Ehefrau. Die Witwe starb vier Jahre danach.
Testament
Die Eheleute hatten ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Dieses lautete:
„1. Wir die Eheleute … setzen uns gegenseitig als Erben ein.
2. Sollten wir beide gleichzeitig sterben, erben Sohn … und Tochter … vorhandenes Bargeld und das auf Konten befindliche Geld – nach Abzug der Beerdigungskosten und sonstiger Kosten – zu gleichen Teilen.”
Der Streit
Nach dem Tod ihres Mannes nahm die Witwe die Erbschaft an. Ihr wurde ein Alleinerbschein nach ihrem Mann erteilt. In den folgenden Jahren errichtete die Witwe zwei weitere Testamente. Mit dem letzten Testament hob sie das gemeinschaftliche Testament auf enterbte Sohn und Tochter und setzte zwei Freunde zu ihren Erben zu je 1/2 ein.
Sohn und Tochter beantragten einen Erbschein. wonach sie zu je 1/2 Erben geworden seien. Genau das gleiche taten auch die Freunde der Witwe. Sie beantragten ebenfalls einen Erbschein, der bezeugen sollte, dass sie die Witwe zu je 1/2 beerbt haben.
Die Freunde hätten sicher recht gehabt, wenn die Eheleute im gemeinschaftlichen Testament den Sohn und die Kinder nur für den Fall des (exakt?) gleichzeitigen Versterbens eingesetzt hätten. Die Kinder des Ehemannes hätten recht gehabt, wenn ihre Erbeinsetzung in der Unfallklausel auch für den Fall des Nachversterbens der Eheleute gewollt war.
Hauptpunkt bei der Auslegung
des Testamentes ist es, dass die Unfallklausel für den Fall vorsorgen treffen will, dass der überlebende Ehegatte, z.B. aufgrund seiner Verletzung nicht mehr in der Lage ist bis zu seinem Tod, selber noch ein Testament zu schreiben. In solchen Fällen liegt sicher eine Bindung der Eheleute an das gemeinschaftliche Testament vor. Bei einer solchen Bindung gilt die Unfallklausel auch als Schlusserbeneinsetzung des überlebenden und kann nicht mehr abgeändert werden. Das war in unserem Fall aber nicht der Fall. Die Freunde der Witwe bekamen ihren Erbschein, Sohn und Tochter des Mannes gingen leer aus.
Der BGH
stellte zum Begriff „Gleichzeitiges Versterben“ fest:
Es gab keine Anhaltspunkte für eine Auslegung der Unfallklausel als Schlusserbeinsetzung für den Todesfall der Witwe. Diese starb auch nicht im weiteren Sinne gleichzeitig, sondern mehr als 4 Jahre nach ihrem Mann. Die Worte: „Sollten wir beide gleichzeitig sterben ….” selbst bieten keinen Anhaltspunkt für eine solche Auslegung. Diese Worte bezeichnen vielmehr einen Gegensatz zu dem Begriff eines Nacheinanderversterbens der Eheleute. Sie enthalten den Begriff des Nacheinanderversterbens gerade nicht, sondern schließen ihn aus. Hätten die Eheleute auch den Fall des Nacheinanderversterbens mit diesen Worten regeln wollen, wie Sohn und Tochter meinten, so wäre ihr Wille jedenfalls nicht im Testament schriftlich erklärt.